Manche lieben es. Manche lieben es nicht. Tatsache ist, dass E-Learning seinen fixen Platz im Bereich der Aus- und Weiterbildung gefunden hat. Unternehmen und Bildungseinrichtungen, die ein internationales Publikum erreichen wollen, benötigen daher Übersetzungen. Drei gute Gründe, warum Sie diese den Profis überlassen sollten.
Das Video dauert rund 20 Minuten. Es ist Teil des Onboardings in einem internationalen Konzern. Das Thema: Compliance, die Sprache: Englisch. Erklärungen aus dem Off, dazu eine Abfolge von Spielszenen. Joe etwa bekommt von einem zwielichtigen Typen ein dickes Kuvert über den Tisch geschoben. Phoebe, immer noch aufgewühlt, berichtet, wie sie unwissentlich beinahe in Korruption verstrickt worden wäre. Alles in diesem Video – die Locations, die Namen, die plakative Vermittlung des Inhalts – vermittelt US-amerikanische Kultur.
Dumm nur, dass es in Deutschland ausgespielt wird. Und daher ohne Anpassung dieser Inhalte seine Wirkung erheblich verfehlt.
Ein globaler Milliarden-Markt
Seit rund 20 Jahren ist E-Learning ein etabliertes Werkzeug der Wissensvermittlung. Die überschießenden Erwartungen der Anfangszeit, wir würden bald nur noch auf diese Art lernen, haben sich natürlich nicht bewahrheitet. Doch wegzudenken ist E-Learning aus dem Markt längst nicht mehr.
Ganz im Gegenteil: Zwar schwanken die Schätzungen des Marktvolumens von E-Learning allein im Unternehmensbereich erheblich (für 2023 zwischen 250 und 520 Milliarden USDollar weltweit) – was wohl auch eine Frage der Begriffsdefinition ist – einig sind sich jedoch alle Analysten, dass es weiteres Wachstum geben wird. Ein gewaltiger Markt also. Und vor allem: ein internationaler Markt, der viel Übersetzungsdienstleistung benötigt.
Erstellung einer Übersetzung: In der Muttersprache lernt es sich besser
Wenn ohnehin alle Menschen Englisch sprechen, wozu dann noch Übersetzung? Wer in der Schule jahrelang Englisch gelernt hat und gewohnt ist, englische Medien zu konsumieren, wer die Sprache vielleicht sogar im Job einsetzt, überschätzt schnell zwei Faktoren: die tatsächliche globale Verbreitung von Englisch – und das eigene sprachliche Können.
Selbst ausgezeichnete Englischkenntnisse hebeln die Tatsache nicht aus, dass Lernen mehr ist als das Verstehen von Inhalten. Es geht auch um Emotion, um Involvement. Und das ist in der Muttersprache deutlich leichter zu erreichen als in jeder noch so gut erlernten Fremdsprache. Zahlreiche Studien zum Thema belegen diesen Effekt: Wer in der Sprache lernt, mit der er oder sie aufgewachsen ist, kann tiefer in das Thema eintauchen, ist emotional besser zu erreichen.
Eine Frage des Respekts
Abgesehen davon, ist es auch eine Frage des Respekts. Onboarding, Weiterbildung oder Schulungen in einer Fremdsprache sind keine Highlights der Willkommens- und Unternehmenskultur.
Ein Aspekt, der auch unmittelbare Auswirkungen auf internationale Expansion und wirtschaftlichen Erfolg hat. Mit deutschsprachigen E-Learning-Materialien sind der Internationalisierung ohnehin enge Grenzen gesetzt. Gerade einmal 133 Millionen Menschen sprechen Deutsch, etwas mehr als die Hälfte davon als Muttersprache. Doch auch Übersetzung oder Synchronisation ins Englische helfen in weiten Teilen der Welt nicht weiter. Von den weltweit knapp 1,5 Milliarden Englischsprechenden sind nur 380 Millionen Muttersprachler:innen. Die Plätze zwei und drei der verbreitetsten Sprachen belegen Mandarin und Hindi mit zusammen rund 1,75 Milliarden Sprecher:innen. Riesige Märkte, die professionell übersetzte Materialien in die verschiedenen Sprachen verlangen.
E-Learning-Lokalisierung: bekanntes Umfeld stellt sicher, dass Lernerfolg eintritt
Bei manchen E-Learning-Kursen reicht die korrekte Übersetzung in die Zielsprache völlig aus. Vor allem, wenn es sich um schriftliches Material handelt, etwa bei technischen Themen oder Texten zur unternehmensinternen Organisation. Hier bietet sich auch die Kombination aus maschineller Übersetzung und Post-Editing an. Sobald ein Text aber spezielle Formulierungen oder visuelle Elemente enthält, kommt die Lokalisierung ins Spiel.
Lokalisierung geht einen Schritt weiter als Übersetzung. Sie adaptiert einen Text an die kulturellen Gepflogenheiten und Normen im Zielland. Sie sorgt also dafür, dass die Intention des Ausgangstextes auch im Zielmarkt erhalten bleibt. Wenn im schriftlichen Material Metaphern oder Wortspiele vorkommen, ist die Notwendigkeit offensichtlich: Wörtliche Übersetzung funktioniert hier nicht, daher müssen die Übersetzer:innen Formulierungen finden , die den ursprünglichen Sinn erhalten.
Genauigkeit in der Lokalisierung von Bildern, Symbolen und Grafiken
Auch Bilder, Symbole und Grafiken sind häufig Bestandteil von E-Learning: Sie lockern Texte auf und können dem besseren Verständnis dienen. Oder auch nicht – denn manches kann missverständlich sein. Ein Klassiker ist das Thumbs-up-Symbol, das im europäischen Raum sofort als Zustimmung verstanden wird. In Teilen Afrikas und Asiens entspricht der hochgereckte Daumen aber unserem gestreckten Mittelfinger.
Dass man die Lernenden versehentlich beleidigt, passiert natürlich eher selten. Der Lokalisierungsprozess setzt viel früher an, etwa bei der Auswahl von Visuals. Menschen in bestimmten Arbeits- oder Lern-Situationen abzubilden, kann die Materialien optisch aufwerten – entsprechen aber weder die Menschen noch die Situationen jenen in der Zielkultur, wirkt es unpassend und arrogant. Ähnlich sieht es mit den Namen von Guides oder Avataren aus, auch hier sollte man eine Anpassung sicherstellen.
Letztlich ist auch Lokalisierung eine Frage des Respekts. Und sie tangiert einen unbewussten Faktor: Je authentischer die Lernmaterialien wirken, desto eher werden sie die Zielgruppen auch ansprechen. Kommt der Lerninhalt schon auf den ersten Blick im Gewand einer anderen Kultur daher, wirkt er unauthentisch und wird als fremd empfunden.
Transcreation: wenn das Lokalisieren von E-Learning-Inhalten nicht ausreicht
Richtig spannend wird es, sobald man den audiovisuellen Bereich betritt. Hier trifft Sprache auf Gestik und Mimik, auf die Darstellung von menschlicher Interaktion und auf sichtbares Environment.
Und hier kommt die Transcreation ins Spiel, die Königsklasse des Übersetzens. Transcreation ist das Übertragen von Ausgangsmaterial in eine Form, die in der Zielkultur die gleichen Emotionen auslöst. Transcreator:innen sehen sich etwa an: Welche Assoziationen wecken bestimmte Themen? Was gilt in der Zielkultur als ehrenhaft, als fair, als schön oder als wertvoll? Nicht zuletzt: Welche Art von Humor wird bevorzugt, wie weit kann man hier gehen? Transcreation geht noch einen großen Schritt weiter als die Lokalisierung und trennt sich vollkommen vom Quellmaterial. Hierbei wird das Ausgangskonzept des Originals in komplett neue Texte und Bilder übertragen.
Wie amikal darf es im E-Learning-Content werden?
Ein klassisches Beispiel: die Darstellung der Arbeitssituation. Europäische und amerikanische Unternehmen neigen dazu, Unterrichtsmaterialien mit Spielszenen aufzufetten, die das ideale Miteinander der Menschen im Büroalltag oder in Unterrichtssituationen illustrieren. Prinzipiell eine gute Idee. Doch Vorgesetzte, die ihren Angestellten amikal auf die Schulter klopfen, werden in Kulturen wie der japanischen oder chinesischen eher Kopfschütteln auslösen. Wo die strikte Einhaltung der Hierarchie wesentlicher Messpunkt des Respekts ist, wirkt die Darstellung flacher Hierarchien respektlos.
Didaktik: Auch Lernkultur und Lernerfahrung sind kulturell geprägt
Noch grundsätzlichere Themen tun sich bei einer zentralen Frage des E-Learnings auf: bei der Didaktik. Wie Lernen am besten funktioniert, ist Gegenstand intensiver Forschung, und die Literatur dazu füllt ganze Bibliotheken. Über den individuellen Zugang hinaus ist aber der kulturelle Zugang entscheidend.
Eine spannende Studie beschäftigt sich mit den Unterschieden der Lernkultur zwischen deutschen und chinesischen Student:innen. Während der intrinsische Antrieb zu lernen in beiden Gruppen sehr ähnlich ist, zeigen sich deutliche Unterschiede in der Art, wie die Wissensvermittlung wirkt. Die deutschen Proband:innen legten Wert auf freies, aktives und interaktives Lernen, während der Schwerpunkt der chinesischen Teilnehmer:innen stärker auf klaren Anweisungen seitens der Vortragenden lag. Auch, wenn es ein Klischee bedient: Chinesische Studierende erwarteten deutlich stärker Disziplin, Konkurrenz und generell höhere Intensität des Lernens.
Die Unterschiede zwischen europäischen Lernkulturen mögen weniger umfassend sein, doch es lohnt sich auch hier, die Didaktik im E-Learning zu hinterfragen und an die Gegebenheiten im Zielland anzupassen.
Wie weit soll Übersetzung beim E-Learning gehen?
Die Frage, wie weit man bei der Übersetzung von Schulungsmaterialien geht, ist nicht nur vom Budget abhängig. Der Bogen zwischen maschineller Übersetzung mit Post-Editing und umfassender Transcreation ist weit – und die Entscheidung hängt vor allem davon ab, wie groß das erhoffte Publikum und wie wertig die Inhalte sind. In jedem Fall lohnt es sich, das Wissen und die Arbeit, die in die Materialien geflossen sind, in professionelle Hände zu geben.