EU AI Act: Dürfen Unternehmen Texte mit Künstlicher Intelligenz übersetzen?

Er sollte der große Wurf werden und den Umgang mit Künstlicher Intelligenz erstmals in ein juristisches Korsett zwingen. Der ArtificialIntelligence Act der Europäischen Union leidet jedoch darunter, dass er eine Technologie behandelt, die sich gefühlt im Stundentakt weiterentwickelt. Die Folge: Vieles bleibt vage, und was nun erlaubt ist und was nicht, wird nicht immer klar. Wie Unternehmen im Bereich der Übersetzungen in jedem Fall auf der sicheren Seite bleiben.

Zuerst kam die Begeisterung, dann die latente Enttäuschung. Als die ersten KI-Systeme für alle verfügbar wurden, wuchsen die Erwartungen (wie auch die Befürchtungen) rasant. Als aber Gamification- und Wow-Effekt abzuklingen begannen, wurden die Grenzen der Künstlichen Intelligenz sichtbar. Zum Beispiel bei Übersetzungs-Apps aber auch bei allen anderen Anwendungsgebieten, bei denen es nicht um reine Effizienzsteigerung geht.

Verbreitete KI-Systeme wie DeepL oder der Google Translator bringen unbestritten beachtliche Ergebnisse. Wer allerdings häufig mit rein maschinell erstellten oder übersetzten Texten zu tun hat, erkennt sie meist auf den ersten Blick. Auch, wenn man es nicht immer an einer bestimmten Stelle festmachen kann: Selbst Texte, die rein technisch alle Anforderungen erfüllen, haben meist einen eigenen Duktus, hinter dem der typische Stil eines KI-Systems hervorschimmert.

Wann man KI-Systemen unter die Arme greifen muss  

Bei manchen Textsorten ist jedem Unternehmen klar, dass sie menschlicher Übersetzung bedürfen. Verträge zum Beispiel oder Finanzberichte, Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Patentschriften, unter Umständen auch Gebrauchsanleitungen und Handbücher – immer dann, wenn durch eine Fehlübersetzung juristisches, medizinisches oder wirtschaftliches Ungemach droht, bleibt eine rein maschinelle Übersetzung ohne humanes Post-Editing tabu.

Auf der anderen Seite stehen Texte wie interne E-Mails oder fremdsprachiges Feedback in den Social Media. Wer einfach nur wissen möchte, worum es darin geht, oder umgekehrt selbst andere damit beschickt, benötigt nicht unbedingt und nicht immer menschliche Übersetzer:innen. Spannend ist der Bereich dazwischen – bei Textsorten, die weder besonders heikel noch banal sind, setzt sich immer stärker „MTPE“ durch; der kombinierte Einsatz von Machine Translation und menschlichem Post-Editing.

In diesen volatilen Zustand grätscht das neue EU-Gesetz hinein. Die Verordnung beschäftigt sich nicht explizit mit der Übersetzung von Texten, hat aber potenzielle Auswirkungen darauf.

Womit beschäftigt sich der Artificial Intelligence Act?

Der AI Act beschäftigt sich nicht mit jeder Art von Künstlicher Intelligenz. Stattdessen definiert er verschiedene Risiko-Kategorien. Ganz oben stehen KI-Systeme, deren Risiko als inakzeptabel eingestuft wird, vor allem solche, die menschliches Verhalten manipulieren oder tracken wollen, wie etwa beim Social Scoring. Apps mit dieser Einstufung sind laut der Verordnung verboten. Am anderen Ende der Skala stehen bei diesem risikobasierten Ansatz solche KIs, die als risikolos klassifiziert werden, also die meisten der bereits alltäglich gewordenen Anwendungen.

Alles, was dazwischen liegt, ist Gegenstand der Verordnung. Anwendungen für allgemeine Zwecke also, die erlaubt sind, deren Anwendung aber Risiken birgt. Dieses kann von minimal bis in den Bereich der so genannten Hochrisiko-KI-Systeme reichen. Der AI Act trat im August 2024 in Kraft, doch die meisten Regelungen werden erst mit 2. August 2026 in Kraft treten.

KI und Risiko: Die Haftungs-Lücke des EU AI Acts

KI-Anwendungen für Übersetzung könnten in diese Kategorie fallen, wobei dies nicht der einzige Konjunktiv bleibt. Denn die so genannte Zweckbestimmung von DeepL und Co. ist definitiv keine ungesetzliche, und jeglicher Gebrauch der KI-Systeme entsprechend ihrem allgemeinen Verwendungszweck ist laut der Verordnung rechtens und tangiert keine der im AI Act definierten Haftungsfragen.

Dass Haftungsfragen in der Verordnung nicht geregelt sind, ist ein offensichtliches Manko. Die Lücke sollte von der AI Liability Directive geschlossen werden. Diese wurde lange vorbereitet und sollte zivilrechtliche Wege finden, mit Haftung umzugehen – sie wurde allerdings im Februar 2025 beerdigt, da Gesetzgeber und Mitgliedsstaaten sich auf keinen gemeinsamen Text einigen konnten.

Wer aber haftet nun, falls ein von Künstlicher Intelligenz übersetzter Text, zum Beispiel ein Finanzbericht, Schäden verursacht? Man darf gespannt darauf sein, wann der erste entsprechende Fall ausjudiziert wird.

Müssen Unternehmen laut KI-Verordnung den Einsatz von Künstlicher Intelligenz kennzeichnen?

Etwas weniger heikel scheint der Bereich der Kennzeichnung. Zwar zählt zu den Anforderungen des AI Acts prinzipiell die Transparenz, er verlangt allerdings nicht explizit, dass rein maschinell übersetzte Texte als solche gekennzeichnet werden – er bezeichnet es im Sinne der Transparenz nur als „angezeigt“, sofern keine „menschliche Überprüfung oder redaktionelle Kontrolle“ als zweiter Schritt erfolgten. Eine echte diesbezügliche Transparenzpflicht gibt es also nicht.

Für Unternehmen bedeutet das: Fasst man die Themen Haftung und Kennzeichnung zusammen, landet man schnell bei MTPE. Die Verbindung von Machine Translation und Post-Editing macht die Kennzeichnung in jedem Fall unnötig, und außerdem klärt sie die Haftungsfrage: Hat ein professioneller Übersetzungsdienstleister einen maschinell übersetzten Text überprüft und gegebenenfalls überarbeitet, ist der Auftraggeber die Haftung für Schäden durch Fehlübersetzung in jedem Falle los. Angesichts des früher oder später zu erwartenden juristischen Lückenschlusses in der Europäischen Gesetzgebung ein zumindest prophylaktisch sehr zu empfehlendes Vorgehen.

MTPE: Wenn KI-System und Mensch zusammenarbeiten

Doch wie funktioniert MTPE eigentlich? Der Übersetzungsdienstleister fertigt die erste Version mit Hilfe einer der gängigen Apps an. Zum Einsatz kommen dabei lizenzierte Versionen, was bedeutet, dass die Texte nicht für das Teaching der KI eingesetzt werden. Damit ist gesichert, dass Unternehmensdaten genau dort bleiben, wo sie bleiben sollen.

Parallel dazu wird ein Translation Memory eingesetzt, also eine speziell für den Kunden angelegte Datenbank, in der bereits überprüfte Übersetzungen von Textsegmenten und kleinen Sinneinheiten abgespeichert werden. Die KI übersetzt in der Folge nur noch jene Abschnitte, die nicht im Translation Memory existieren, und damit sind sowohl die Konsistenz der Übersetzung als auch die einheitliche Form der Fachtermini garantiert.

Im zweiten Schritt übernehmen professionelle, muttersprachliche Übersetzer:innen. Sie überprüfen und überarbeiten die maschinell generierte Version und sorgen dafür, dass die Qualität der Übersetzung nicht von einer reinen Human-Übersetzung zu unterscheiden ist.

Wo KI-Systeme und Menschen besonders gut harmonieren

Es gibt einige typische Textsorten, deren Übersetzung beim Einsatz von KI unbedingt des menschlichen Post-Editing bedürfen:

  • Hochwertige Kundeninhalte: um professionelles, verantwortungsvolles Image und Kundenzufriedenheit zu gewährleisten
  • Juristische Texte, Verträge, Vereinbarungen: um die Einhaltung rechtlicher Genauigkeit und Verbindlichkeit sicherzustellen
  • Marketing-Material: um kulturelle Nuancen und Markenbotschaften präzise zu vermitteln
  • Technische Dokumentationen und Anleitungen: um die Sicherheit und korrekte Bedienung von Geräten zu gewährleisten
  • Produktinformationen: um Sicherheit und Handhabbarkeit zu gewährleisten
  • Unternehmensdokumente: um die korrekte Verwendung von Fachterminologie sicherzustellen
  • Lokalisierungsprojekte: um kulturelle Anpassungen vorzunehmen und lokale Gepflogenheiten zu berücksichtigen
  • Medizinische Dokumente: um Fehler zu vermeiden, die gesundheitliche und rechtliche Folgen haben können
  • Akademische Texte: um fachliche Genauigkeit und wissenschaftliche Integrität zu wahren

Gegenüber maschineller beziehungsweise ausschließlich humaner Übersetzung bringt MTPE für viele Unternehmen eine ganze Reihe an Vorteilen.

  • Kosten: Humanübersetzungen sind nicht preisgünstig, KI-Übersetzungen aber oft qualitativ nicht gut genug. Machine Translation mit Post-Editing bietet den perfekten Mittelweg.
  • Zeit: Exzellente Übersetzungen brauchen ihre Zeit. Übernehmen KI-Modelle den ersten Schritt, wird die Bearbeitungszeit signifikant verkürzt.
  • Qualität: Von der Qualität, die menschliche Übersetzer:innen liefern, sind KI-Systeme noch weit entfernt. MTPE hebt deren Versionen jedoch auf das Niveau, das die Auftraggeber erwarten dürfen.
  • Flexibilität: Mit MTPE gibt es eine dritte Option neben maschineller und humaner Übersetzung. Unternehmen können je nach Bedarf flexibel und kurzfristig zwischen ihnen wählen.
  • Konsistenz: Translation Memories beschleunigen den Übersetzungsprozess zusätzlich. Mit ihnen müssen Änderungen am KI-Output nicht immer wieder erneut vorgenommen werden. Außerdem sorgt das Translation Memory für Konsistenz.
  • Fachwissen: Das Fachwissen von KI-Systemen ist überschaubar. Gute Übersetzungsdienstleister beschäftigen nicht nur muttersprachliche Profis, sondern auch Menschen mit fachspezifischer und entsprechender terminologischer Expertise.

Vor und nach dem EU AI Act: Der sichere Weg zur Compliance

Die Implementierung von MTPE-Verfahren und ihre ordentliche Dokumentation machen auch compliant gegenüber den regulatorischen Anforderungen des EU AI Acts und all seiner Erweiterungen – und neuer KI-Systeme –, die in den kommenden Jahren zu erwarten sind.

Unternehmen sollten beim Einsatz künstlicher Intelligenz nicht unbedingt die atemberaubenden Geldbußen im Hinterkopf haben, die der AI Act bei Verstößen gegen die Vorschriften maximal vorsieht (bis zu 35 Millionen Euro oder 7 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes). Doch alleine der Imageschaden, der durch schlechte Übersetzung entstehen kann, sollte Antrieb genug sein, nicht ausschließlich auf den Einsatz von KI zu vertrauen, wenn es wirklich auf Qualität ankommt.

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