Sie stehen zwischen Mächten und zwischen Mächtigen. Sie sind da, auch wenn sie selten im Scheinwerferlicht stehen. Die Rolle von Übersetzer:innen in der Diplomatie findet kaum Beachtung dabei können Glanzleistungen den Frieden retten und Fehler zum Krieg führen. Politische Übersetzungen: Worauf es bei ankommt, wenn es wirklich darauf ankommt.
Diplomatie beginnt in dem Moment, in dem man nicht mehr alleine im Raum ist. Alles ist irgendwie Diplomatie im Leben. Sie kennen das: vom Streitgespräch mit dem Partner oder der Partnerin oder von pädagogischen Bemühungen gegenüber dem bockigen Teenager. Um deeskalierend zu wirken, wägen Sie jedes Wort genau ab, winden sich sprachlich geschickt durch ein emotionales Minenfeld und vollführen die hohe Kunst häuslicher Diplomatie. Denn wir wissen aus Erfahrung: in der Hitze des Wortgefechts passiert es nur allzu schnell, dass wiederum unser Gegenüber jedes gesagte Wort auf die Waagschale legt. Können oder müssen, wollen oder dürfen. Missverständnisse entstehen schnell und lassen sich dann oft nicht leicht aus der Welt schaffen.
Auf politischer Ebene wirkt sich heftiger aus, was man in der Familiendiplomatie erlebt. Die Wortwahl trägt etwa entscheidend zum Ausgang von Friedensverhandlungen bei und ist oftmals der Knackpunkt bei komplexen Vertragsabschlüssen in der Politik. Mit ihr steht und fällt das gute Verhältnis zwischen Ländern. Dass die Gesprächsparteien auf internationaler Ebene zumeist buchstäblich eine andere Sprache sprechen, trägt nicht gerade dazu bei, heikle politische Kommunikation zu vereinfachen.
Zwischen Mehrdeutigkeit und Kultur
Selbst die besten Verhandler:innen haben keine Chance, wenn ihre Informationen nicht korrekt wiedergegeben werden. Übersetzer:innen müssen beim Interpretieren und Wiedergeben von Kompromissvorschlägen, Ablehnung oder Zustimmung bis zu einem gewissen Grad selbst zu Diplomat:innen werden. Ist das gerade eine bewusste Provokation? Passiert hier gerade unbeabsichtigt ein Affront? Wie gewichte ich die Informationen? Worte können mehrdeutig sein, kulturelle Unterschiede tun ihr übriges. Doch wo ist sie eigentlich, diese unsichtbare Grenze zwischen fataler Mehrdeutigkeit und kultureller Verortung? Gerade Dolmetscher:innen müssen darüber oft in Bruchteilen von Sekunden entscheiden.
Und es kommen noch weitere Herausforderungen hinzu: Vertraulichkeit etwa, Sprachkompetenz bis hin zu Dialekten oder regionalen Eigenheiten, Entscheidungsfähigkeit und gerade beim Dolmetschen auch Stressresistenz.
Politische Übersetzungen: Wort halten
Aber sehen wir uns doch einmal eine linguistische Stolperfalle an. Wenn in englischen Texten – und das kommt gerade im politischen Betrieb durchaus häufiger vor – etwa von „Race“ die Rede ist, so wäre die eigentlich präzise, aber auch starre deutsche Übersetzung „Rasse“ gegenüber dem oder der Gesprächspartner:in wohl ein Affront, das Wort „Hautfarbe“ wäre da angebrachter. Denn „Rasse“ ist gerade in der deutschen Geschichte eingebettet in die düstere Idee der Kolonialzeit und des Nationalsozialismus, mit dem Begriff die eigene menschenverachtende Politik quasi-wissenschaftlich zu legitimieren. Im angelsächsischen Raum dagegen ist „Race“ mittlerweile durchaus auch Teil einer eben rassismuskritischen Auseinandersetzung. Es kommt drauf an, wer es sagt und zu wem. Das Wort ist das gleiche, das Verständnis eben ein anderes. Das zeigt: Worte machen eine Metamorphose durch auf dem Weg vom Sender zum Empfänger. Und bleiben doch die gleichen. Sie ist schon faszinierend, die Sprache.
Es ist ein Spagat, den gerade Übersetzer:innen im Umfeld der Diplomatie dauernd vollführen müssen: viele Begriffe müssen beim Übersetzen erst einmal geistig abgeglichen werden mit Kontext, Emotion, Geschichte – und auch der persönlichen Biografie des Gegenübers. Der Raum für Fehler ist groß, der Handlungsspielraum dagegen gering.
In der internationalen Politik können die Auswirkungen besonders weitreichend sein: vom Abbruch wichtiger Verhandlungen bis zum Krieg oder zumindest diplomatischen Dissonanzen.
Undiplomatische Drohung
So etwa in der aufgeheizten Stimmung des Kalten Krieges. 1956 sprach KPdSU-Chef Nikita Chruschtschow bei einem Empfang in der polnischen Botschaft in Moskau mit Vertreter:innen des Westens. Ein Hobby-Übersetzer kümmerte sich – mehr schlecht als recht – um die Verständigung. Der Satz des Sowjets „We will bury you“ schaffte es in der Folge auf Coverseiten internationaler Magazine und hatte schwere Verstimmungen in der Diplomatie zur Folge.
Tatsächlich hatte seine Aussage wohl einen anderen Hintergrund und um den zu verstehen, brauchte es wohl ein paar Semester Politikwissenschaft. Der sowjetische Politiker soll sich auf Karl Marx und dessen Argumentation, wonach sich die Bourgeoisie ihr eigenes Grab schaffe, bezogen haben. Der fehlende Kontext und eine zugespitzte Übersetzung führten aber dazu, dass sich die Lage zwischen Ost und West weiter verschärfte. Aus dem Hinweis auf ein marxistisches Theorem wurde in der Übersetzung eine rhetorische Kriegserklärung.
Kennen Sie übrigens Sidney Pollacks Thriller “Die Dolmetscherin“? In dem Film spielt Nicole Kidman die Dolmetscherin Silvia Broome bei den Vereinten Nationen in New York, die zufällig Zeugin einer Verschwörung wird. Als Broome einem ihrer Kontrahenten in dem Film erklärt, dass sie Dolmetscherin bei den Vereinten Nationen geworden sei, weil sie „Ruhe und Frieden“ möge und der daraufhin meint, sie sei doch „nur Übersetzerin“, kontert Broome: „Länder sind in den Krieg gezogen, weil sie sich gegenseitig falsch verstanden haben.“ Macht und Ohnmacht. Bei politischen Übersetzungen liegen sie eben ganz nah beieinander.