Durchschnittlich sind zwei von drei Sprachen der Welt Tonsprachen. Die Tonhöhe und deren Verlauf bestimmen also in vielen Fällen die Bedeutung des ausgesprochenen Wortes. Diese „Toneme“ sind eine der größten Hürden für alle, die eine Tonsprache erlernen wollen, selbst aber vor einem ganz anderen sprachlichen Hintergrund stehen. Einige Beispiele dafür, zu welchen Missverständnissen es kommen kann wollen wir hier beschreiben.
Dass Chinesisch für europäisches Empfinden als besonders schwierig zu erlernen gilt, zeigen zum Beispiel Ausdrücke wie „Fachchinesisch“. Neben der ungewohnten Schrift sind vor allem die verschiedenen Töne bei Sprachschüler:innen gefürchtet. Die meistgesprochene Sprache der Welt unterscheidet vier unterschiedliche Tonhöhen-Verläufe (plus einen neutralen Ton), und wer den Ton nicht richtig trifft, kann beim chinesischen Gegenüber einige Verwirrung auslösen. Beispiele gefällig? Je nach Betonung bedeutet „fei“ entweder „fliegen“, „Fett“, „Bandit“ oder „Abfall“. Der Begriff „guo“ wird je nach Aussprache als „Topf“, „Land“, „Frucht“ oder „vorübergehen“ verstanden. Wer nun endgültig seine Pläne, Chinesisch zu lernen, aufgeben will, sei jedoch beruhigt: Chines:innen sind – wie alle Sprecher:innen von Tonsprachen – Kummer gewöhnt und interpretieren auch falsch intonierte Worte im Zusammenhang durchaus richtig.
Wenn der Gouverneur eine Dame ist: Missverständnisse in Vietnam
Chinesisch zu lernen, scheint Ihnen zu einfach? Wie wäre es dann mit einer größeren Herausforderung. Die vietnamesische Sprache unterscheidet nicht weniger als sechs unterschiedliche Tonhöhen-Verläufe: Hoch bis mittel und eben, hoch bis mittel und steigend, tief und fallend, fallend und knarrig, fallend und steigend sowie unterbrochen und steigend. Der vierte Ton hält eine Spezialität für die Sprachschüler:innen bereit: Er beinhaltet auch einen Knacklaut, den stimmlosen Glottisschlag. Wie im Chinesischen, bringen die unterschiedlichen Toneme auch im Vietnamesischen bemerkenswerte Bedeutungs-Unterschiede mit sich. Das kleine Wort „ba“ etwa wird je nach Tonhöhen-Verlauf mit „drei“, „Gouverneur“, „Dame“, „Leben“, „Geschichte“ oder „Rest“ übersetzt.
Hüfte oder Schwiegermutter – Unklarheit in Nordamerika
Die zahlreichen Sprachen und Dialekte der Native Americans stehen prototypisch für „schwierig zu erlernen“. Kein Zufall etwa, dass die USA im Pazifikkrieg die Sprache der Navajo zur Grundlage einer nicht zu knackenden Verschlüsselung ihres Funkverkehrs machten. Und auch die Native Americans kennen Tonsprachen, darunter die Sprachen der Apache. Hier wird zwischen hohen, tiefen, aufsteigenden und absteigenden Tönen unterschieden, die durchaus das Potenzial für massive Missverständnisse haben. Wer den Ton hier nicht richtig trifft, kann etwa „Wildleder“ mit „Brot“ verwechseln, „Kot“ mit „Biber“ oder „Hüfte“ mit „Schwiegermutter“. Zu beurteilen, welche Verwechslung die unangenehmsten Folgen haben kann, sei jedem und jeder selbst überlassen.
Eine erbärmliche Laus? Auch Skandinavien kennt Tonsprachen
Tonsprachen existieren auch in Europa. Dialekte im Norwegischen, Schwedischen und Dänischen kennen die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Tonhöhen-Verläufen. Die sind im Vergleich etwa zum Chinesischen allerdings überschaubar: Es sind genau zwei. Die Begriffe „Bauer“ und „Bohne“ zum Beispiel sind in gewissen norwegischen Dialekten nur durch die Tonhöhe zu unterscheiden, ebenso jene für „Laus“ und „erbärmlich“.
Wie weh tut es? Litauisch als Tonsprache
Und noch ein Beispiel aus Europa: Die litauische Sprache unterscheidet zwischen dem kurzen Ton, dem Stoßton und dem Schleifton. In vielen Fällen werden so nur zusammenhängende Adjektive und Substantive unterschieden – wie etwa „flüssig“ und „Flüssigkeit“. Doch die Toneme können auch stärkeren Bedeutungswandel bringen, zum Beispiel zwischen „treten“ und „sich erinnern“. Besonders oft tritt das Phänomen auf, wenn die Intensität einer Empfindung ausgedrückt werden soll. Beim Schmerzlaut „ai“ etwa definiert der Verlauf der Tonhöhe, ob es sich um einen lange anhaltenden oder einen kurzen, akuten Schmerz handelt. Da es hier allerdings auch auf die Länge der gesprochenen Silbe ankommt, werden wohl auch Nicht-Muttersprachler:innen im Ernstfall recht gut verstanden werden.